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Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung

  Gedenkbuch Seiten 409 - 421

OBERNAUER, Max,

Viehhandel, Industriestraße 15

  

DR . ANTJE KÖHLERSCHMIDT

Max Obernauer, geb. 25.11.1885 in Laupheim, Emigration am 30.12.1940 nach Argentinien, gest. 1952 in Argentinien, OO Cilly Obernauer, geb. Friedberger, geb. am 21.9.1895 in Laupheim, Emigration am 30.12.1940 nach Argentinien, gest. im September 1984 in Buenos Aires, Argentinien,
Hugo Obernauer, geb. 20.8.1918, Emigration am 17.8.1937 nach Argentinien, gest. 10.7.1986 in Choele Choel, Argentinien,
Emil Obernauer, geb. 15.3.1920 in Laupheim, Emigration am 5.7.1937 nach Argentinien. 

 

Bei Max Obernauer handelt es sich um den am 25. November 1885 in Laupheim geborenen zweiten Sohn von Israel und Paulina Obernauer, geborene Friedberger, die zusammen fünf Kinder, eine Tochter und vier Söhne, hatten. Die siebenköpfige Familie lebte in der Kapellenstraße 56. Seinen beiden jüngeren Brüdern Hermann und Wilhelm Obernauer sind im Gedenkbuch eigene Artikel gewidmet.

 

Cilly Obernauer geb. Friedberger und Max Obernauer.

Die Kinder von Israel und Paulina Obernauer besuchten die jüdische Volksschule und die beiden ältesten Söhne, Hugo und Max, waren im Schülerverzeichnis des ersten Schuljahres der 1896 in Laupheim neugegründeten Latein- und Realschule als Schüler der Oberen bzw. Unteren Abteilung verzeichnet. Traditionell besitzt in jüdischen Familien das Streben nach Bildung einen hohen Stellenwert, so auch in der Familie des Viehhändlers Israel Obernauer.

Von den 43 ersten Schülern des Schuljahres 1896/97 waren 14 israelitischen Glaubens, was einer Quote von 32 Prozent entspricht und deutlich über dem damaligen Anteil der jüdischen Bewohner an der Gesamtbevölkerung Laupheims von zirka 10 Prozent lag. Im Anschluss an seine Schulzeit folgte Max Obernauer seinem Vater in der Berufswahl und wurde wie er Viehhändler.

Am vierten Mobilmachungstag des Jahres 1914 rückte Max Obernauer in die Bayerische Sanitätskompanie Nr. 3, die in München stationiert war, ein und wurde als Krankenträger in zahlreichen Schlachten eingesetzt. Nach eigenen Angaben waren es die bei Barcard, Sarburg, Lyon, Münster im Elsaß, an der Somme, in der Muldau, bei St. Quentin, Compiegne und Hammel. Ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Verdienstkreuz wurde er schließlich am 3. Dezember 1918 entlassen. Noch im letzten Kriegsjahr, d. h., am 15. Januar 1918, hatte Max Obernauer seine 23jähriger Cousine Cilly Friedberger geheiratet. Diese war die Tochter von Markus und Therese Friedberger, geborene Landauer, und ebenfalls in Laupheim geboren und aufgewachsen. In diesem Zusammenhang wird auf den Artikel zu ihren Eltern im Gedenkbuch verwiesen. Bereits sieben Monate nach der Hochzeit wurde Hugo Obernauer am 20. August 1918 in Laupheim geboren. Er wurde nach dem 1915 in Russland gefallenen älteren Bruder von Max benannt. Der zweite Sohn, Emil Obernauer, wurde am 15. März 1920 in Laupheim geboren.

 

Der Viehhandel

Die Existenzgrundlage der Familie war der Viehhandel, den Max Obernauer betrieb. Dabei kooperierte er im Pferdean- und -verkauf mit seinem jüdischen Partner Emil Kahn, der in den Stallungen seines Hauses in der Kapellenstraße 64 die Pferde unterstellte. Als gleichberechtigte Gesellschafter führten sie seit 1923 eine offene Handelsgesellschaft und traten in Anzeigen entsprechend gemein- sam auf. 17 der 1929 insgesamt noch 24 Viehhändler in Laupheim waren Juden. Traditionell war dieser Handel seit dem 18. Jahrhundert eine Domäne dieser jüdischen Händler im oberschwäbischen Raum bis ins Voralpenland, die vonGeneration zu Generation in der Familie weitergetragen wurde. Die langjährigen Geschäftsbeziehungen zwischen den jüdischen Viehhändlern und der meist katholischen Landbevölkerung hatten sich als verlässlich erwiesen. Max Obernauer betrieb neben der erwähnten Kooperation mit Emil Kahn eigene Geschäfte mit Kühen und Kälbern, wie die Anzeige aus dem Laupheimer Verkündiger vom 7. Dezember 1925 verdeutlicht. Als Geschäftsadresse ist die Ulmer Straße 52 angeben. Das ist die Adresse seines Onkels Markus Friedberger, dessen Stall er mitbenutzte und dessen Geschäft er vielleicht auch weiterführte. Allerdings wohnte die Familie laut demAdreß- und Geschäfts-Handbuch für die Bezirksgemeinden Laupheim 1925“ bereits in einem Haus, das Max Obernauer in der Nähe des heutigen Stadtbahnhofes gebaut hatte. Die Fotos des sehr repräsentativen Hauses befinden sich auf der nächsten Seite und belegen die beginnende Ausdehnung Laupheims nach Nordwesten. Angesichts des Baus ist zu vermuten, dass die Geschäfte von Max Obernauer im Abschluss recht erfolgreich gewesen sein mussten. Allerdings hatte er zur Finanzierung des Hauses Kredite von der israelitischen Kirchengemeinde Laupheim, von Carl Lämmle in New York und dem Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Neander Fromm aufgenommen. Die Kreditaufnahme zum Bau bzw. Kauf von Wohneigentum ist eine bis heute übliche Praxis.


 

(„Laupheimer Verkündiger“ v.  28. 1. 1924 und 7. 12. 1925

 

Max Obernauer war wahrscheinlich geschäftlich viel unterwegs, so dass die Führung des Haushaltes bei seiner Frau lag. So suchte Frau Max Obernauer“ 1923 für die Hilfe im Haushalt ein 20- bis 25jähriges Mädchen, dem hoher Lohn in Aussicht gestellt wurde. Ob und welche Resonanz ihr Stellenangebot hatte, ist nicht dokumentiert.

 

Haus Obernauer, Industriestraße 15, um 1925.

(Foto: Archiv Theo Miller)


Heutiger Zustand: originalgetreu erhalten.        (Foto: Karl Neidlinger)

 

Der Tod von Pauline Obernauer, geborene Friedberger

Der Vater von Max Obernauer, Israel Obernauer, war bereits 1901 infolge einer Typhusinfektion, zugezogen auf einer Geschäftsreise, gestorben. Seine Witwe Pauline Obernauer, geb. Friedberger, lebte weiterhin in ihrem Haus in der Kapellenstraße 56. Über Pauline war nicht viel in Erfahrung zu bringen. In Laupheim lebten ihr Bruder Markus Friedberger und die Schwestern Mathilde Bach und Cilly Einstein mit ihren Familien. Das komplette Foto befindet sich im Aufsatz zur Familie Markus Friedberger. Bis auf ihre Tochter Therese, verheiratete Eppstein, lebten ihre drei Söhne Max, Wilhelm und Hermann Obernauer mit ihren Familien im Ort, so dass sie, umgeben von ihrer Verwandtschaft und in die jüdischen Gemeinde integriert, lebte. Im Alter von 64 Jahren starb sie am 15. Oktober 1925 nach kurzer, schwerer Krankheit.

Pauline Obernauer geborene Friedberger um 1920.

(Foto: John-Bergmann-Nachlass)

In der Danksagung wurde die „aufopfernde und liebevolle Pflege der Haushälterin Katharina Kley besonders hervorgehoben. Diese wechselte in den Haushalt der Familie von Max Obernauer, wo sie bis Mitte der 30er Jahre beschäftigt war. Diese langjährigen Tätigkeiten von christlichen Hausangestellten in den jüdischen Haushalten war in Laupheim durchaus typisch.

 

Kindheit und Jugend der Söhne Hugo und Emil Obernauer

Die beiden Kinder von Max und Cilly Obernauer wuchsen in der Geborgenheit der Familie und der Verwandtschaft väter- und mütterlicherseits auf. Wie alle Kinder der Synagogengemeinde Laupheim besuchten sie die jüdische Volksschule in der Radstraße, an der zu jener Zeit Hermann Einstein als Lehrer tätig war. Zwei Fotos der Schüler der israelitischen Volksschule sind aus dem Jahr 1929 erhalten, auf beiden sind Hugo und Emil Obernauer abgebildet. Das erste vom 21. Februar 1929 zeigt die kostümierte 12fköpfige Kinderschar, die Purim feiert. Emil und Hugo Obernauer stehen ganz links bzw. rechts und sind gut zu erkennen.

(Fotos: Archiv Günther Raff)

 

Das bis heute jährlich in Laupheim stattfindende Kinder- und Heimatfest erfreute sich bei Alt und Jung, Christen und Juden in Laupheim großer Beliebtheit. So zählten auch die beiden Obernauerbuben zu den begeisterten Anhängern des Festes, was besonders für Hugo galt, der 47 Jahre nach seiner Emigration 1984 extra zur Zeit des Laupheimer Kinder- und Heimatfestes aus seiner neuen Heimat Argentinien in seine Geburtsstadt zu einem Besuch zurückkehrte. Als 10jähriger Bub war Hugo 1930 als einer der berühmten „Sieben Schwaben am Festumzug selbst beteiligt. Er ist in der zweiten Reihe an der Lanze hinter dem von ihnen gejagten Hasen abgebildet und trägt eine Mütze. In einem Brief vom 15. 7. 1982 an Rita Stetter, geb. Müller, erinnert er sich:

„Schöne Erinnerungen tauchten beim Lesen des Heimatfestprogramms auf. Ein Mal gewann ich als ersten Preis beim Armbrustschießen ein herrliches Taschenmesser aus Perlmutt mit einem Abziehbild von A.H. (Anm. d.V.: Adolf Hitler) drauf. Selbst Wilhelm Tell hätte nicht stolzer darauf sein können! Dies muss im Jahre 1933 gewesen sein, mein letztes Schuljahr in Laupheim. Danach kam ich in die Lehre nach Ulm, . . . In der Langestraße 20 befand sich ein Warenhaus mit dem Namen ‚Volksbedarf', in dem ich drei Jahre lang als Schaufensterdekorateurlehrling lernte und danach bis zu meiner Auswanderung als Dekorateur tätig war.“
 

Seine Kindheitserlebnisse bildeten die emotionale Basis für seine innige Bindung an Laupheim, über die er selbst in einem Brief vom 5. Februar 1981 an Rita Stetter schrieb:

Je länger ich von ‚zu Hause' fort bin, desto größer wird meine Sehnsucht nach meinem geliebten Laupheim.“
 

In den Erinnerungen schwelgend, in denen er mit den aus der Ulmer Straße stammenden Freunden Eugen und Hugo Held sowie Anton Beck am Bronner Berg Schlitten fuhr, in der Höhenanlage Holz für das Facklefeuer' im März sammelte u.a.m. unternahm, setzte er fort:

 „Unser zweites zu Hause jedoch war während dieser Zeit der Fussballplatz von Olympia Laupheim, und dies nicht nur im Sommer. Ich glaube kaum, dass es in ganz Laupheim begeistertere Anhänger gegeben hatte, wie wir es waren. Kein Weg war uns zu weit, um unsere erste Mannschaft mit dem Fahrrad zu begleiten. Ob dies nun Ehingen, Blaubeuren oder Munderkingen war, war uns ganz egal. Wenn unsere Mannschaft dann manchmal siegreich war, durften wir im Omnibus mit zurückfahren. Rudolf Rechtsteiner hieß der Torwart. An den Montagen erschien dann immer im ‚Laupheimer Verkündiger' die Kritik über die absolvierten Spiele. Wir selbst waren ein Teil der letzten Jugendmannschaft des Vereins, denn die Zeit, von der ich Ihnen erzähle, handelt von der Zeit vor 1933. Dass bei dieser regen Tätigkeit meine Leistungen in der Schule nicht die besten waren, können Sie sich unter diesen Umständen vorstellen und veranlassten Herrn Prezeptor Zepf den ersten Vokal meines Namens ,O’ besonders zu betonen.“

 

Die Zeit der Unbeschwertheit der Kindheits- und Jugendzeit war auch von dem selbstverständlichen Miteinander von christlichen und jüdischen Kindern geprägt. So freute sich Hugo Obernauer stets auf das Weihnachtsfest.

 „Dieses war für uns Kinder der Höhepunkt des Jahres. Natürlich war ich jedes Jahr bei Helds eingeladen und sang mit derselben Inbrunst die Weihnachtslieder. Nie fehlte ein Teller mit Springerle, Zimtsternen usw. für mich. Dies war auch die Zeit, zu der wir Bleisoldaten gossen und Dampfmaschinen, die mit Spiritus betrieben wurden, in Gang setzten.“
(Brief von Hugo Obernauer an Rita Stetter, geb. Müller, vom 5. 2.1981)
 

Die Zeit nach 1933

Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler rissen die Nationalsozialisten rasant die Macht in Deutschland an sich und auch im von der Zentrumspartei dominierten Laupheim wurden die politischen Veränderungen schnell spürbar. Hugo Obernauer berichtete, dass die Schüler der Realschule ein sogenanntes Nationalheft anzulegen hatten, in das alle berühmten Deutschen, ihre Taten oder Reden der Vergangenheit verzeichnet wurden. Er erinnerte sich an Einträge über Otto von Bismarck, Albert Leo Schlageter, dem Kommandanten von U 9 im I. Weltkrieg, und von verschiedenen Reden von Hindenburg und Adolf Hitler. 1934 schloss er die Schule ab und begann, wie bereits erwähnt, eine Lehre als Schaufensterdekorateur in einem Warenhaus namens Volksbedarf “ in Ulm, in dem er bis zu seiner Auswanderung 1937 arbeitete.

Sein Bruder Emil Obernauer begann nach seiner Schulzeit eine Ausbildung in der Haarfabrik Bergmann. Die zunehmende Ausgrenzung und Diskriminierung dürfte vor allem für die beiden mit vielen christlichen Freunden und Schulkameraden aufgewachsenen Jungen besonders schmerzlich und spürbar gewesen sein. Das Reichsbürgergesetz und das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, die 1935 von den Nazis erlassen wurden, dürften maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Familie Obernauer ihre Emigration vorbereitete. Doch auch ganz konkret wurde die Bedrohung für die jungen Männer in Laupheim spürbar, wie Hugo Obernauer in einem Brief vom 21. November 1985 Theo Miller in Laupheim berichtete:

 
„Zum Schluss will ich Dir noch ganz kurz eine Begebenheit schildern, die mir im Winter 1936/37 passierte. Wie du weißt, stand unser Haus als letztes in der Industriestraße neben dem Sägewerk Scheffold. Daneben war bereits eine Wiese, die damals der Fleischerei Bertele gehörte. Ebenso weißt du, dass ich jeden Abend so ung. um 9 Uhr nachts von Ulm kommend nach Hause kam. Eines Abends, als ich gerade mein karges Abendbrot zu mir nahm, hörte ich Geräusche an unseren Fensterläden, die von vereisten Erdbrocken herrührten. Ohne viel zu überlegen, löschte ich das Licht aus, nahm mein Diana-Luftgewehr zur Hand und schlüpfte durch unseren Lattenzaun, von dem ich wusste, dass an einer Stelle eine solche fehlte. Im Sturm rannte ich gegen den angeblichen Feind, der vielleicht seit Hitlers Machtantritt zum ersten Mal das Weite suchte. Da es mondhell war, konnte ich feststellen, dass die Angreifer zur Hitler-Jugend von Laupheim gehörten. Zum Glück haben sie sich täuschen lassen, dafür aber wurde ich am folgenden Abend von ihnen am Bahnhof erwartet, wobei ich eine Tracht Prügel bekam, weil ich auf Deutsche geschossen hätte. Eine Anzeige jedoch hat niemand gemacht, was sehr bedeutungsvoll ist.“

 

Im August 1937 verließen schließlich Hugo und Emil Obernauer ihre Heimat, um nach Argentinien zu flüchten. Ihre Eltern dagegen blieben zunächst in Laupheim, wo vor allem Max Obernauer die zunehmenden Einschränkungen zu spüren bekam, die von den Nazis erlassen wurden und die Ausübung des Pferde- und Viehhandels zunächst erschwerten, 1939 völlig unmöglich machten. In diesem Zusammenhang sei auf den Artikel zu Emil Kahn verwiesen, wo die Einschnitte eingehender erklärt werden.

Als in der Reichspogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 in Laupheim die Synagoge von Ulmer SA-Leuten in Brand gesetzt wurde, wurden zeitgleich 30 jüdische Laupheimer Männer aus ihren Häusern geholt und vor die Synagoge gezerrt, um die Zerstörung ihres Gotteshauses mit anzusehen. Wie seine jüngeren Brüder Hermann und Wilhelm gehörte auch Max Obernauer zu ihnen. Laut Zeugenaussage des Feuerwehrmannes Wendelin Ganser wurden sie in die Markthalle gebracht und von den SA-Leuten zu Übungen wie Kniebeugen ge- zwungen und anschließend im Amtsgerichtsgefängnis inhaftiert. 17 der Inhaftierten wurden in das KZ Dachau verschleppt. Der erste der verhafteten Männer kehrte Ende November, der letzte erst im Februar 1939 nach Laupheim zurück. Ihre Entlassung erfolgte unter den Auflagen, Stillschweigen über ihre Haft zu bewahren, ihr Eigentum zu veräußern und Deutschland zu verlassen. Siegmund Laupheimer wurde in Dachau zu Tode geprügelt, Max Obernauer war am 17. Dezember 1938 frei gekommen.

Während der Zeit seiner Haft, d. h. am 30. November 1938, wurden bei verschiedenen jüdischen Bürgern Hausdurchsuchungen gemacht, um den Besitz zu inspizieren, was den vielfach allein zurückgebliebenen Ehefrauen und Kindern Angst und Schrecken eingejagt haben dürfte. Zu den Betroffenen gehörten die Häuser von Edwin, Theodor und Max Bergmann, Hermann Sternschein, Lehrer Säbel, Emil Kahn, Max Einstein, Siegfried Kurz, Max Einstein, Benno Nördlinger und Max Obernauer. (Stadtarchiv F 7613)

Als im Juni 1939 den jüdischen Händlern der Viehhandel sogar auf dem 14tägig stattfindenden Markt in Laupheim verboten wurde und sie ihr Gewerbe nur noch als stehendes Gewerbe d.h. am eigenen Hof, ausüben durften, kam dies einem Berufsverbot für sie gleich.

Genau ein Jahr nach der Reichskristallnacht vom 9./10. November 1938 wurden am 9. November 1939 abermals 13 jüdische Männer unter ihnen war Max Obernauer aus Laupheim für einige Tage im Amtsgerichtsgefängnis inhaftiert. Das Land zu verlassen wurde für die in Laupheim verbliebenen Juden immer dringlicher, aber die Hürden, es zu schaffen, waren ernorm hoch. Es bedurfte nicht nur zahlreicher Genehmigungen seitens der deutschen NS-Behörden sondern auch einer Erlaubnis für die Einreise in ein anderes Land. Darüber hinaus war es unabdingbar, einen Platz für die Überfahrt auf einem Schiff zu erhalten. Cilly und Max Obernauer bemühten sich um eine Ausreise zu ihren Söhnen nach Argentinien, was ihnen Ende 1940 endlich gelang. Im Februar 1940 hatten sie das Haus in der Industriestraße 15 samt Hofraum und Parzelle Nr. 2613/1 an die Geschwister Elise und Maria Schick für 15 000 Reichsmark verkauft. Der Kaufpreis wurde Immobilienmakler Josef Benz, der alle in der NS-Zeit von den Laupheimer Juden verkauften Immobilien auf die Angemessenheit der bezahlten Kaufsumme überprüfte, 1946 als normal eingeschätzt.

Dass der Leser die Gesichter von Cilly und Max Obernauer (Seite 409) betrachten kann, ist zwei Funden bei Archivrecherchen im Staatsarchiv Sigmaringen und Kreisarchiv Biberach zu verdanken. Das Foto von Cilly Obernauer aus dem Staatsarchiv Sigmaringen stammt aus einem Pass, während das Bild von Max Obernauer aus dem vom Landratsamt 1938 eingezogenen Wandergewerbeschein stammt, der im Kreisarchiv Biberach archiviert ist.

 

Das Leben der Emigranten in Argentinien

In Argentinien wurde die Familie Obernauer wieder vereint und sie beschlossen, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu gründen und begannen mit der Viehzucht. Sie lebten praktisch von ein paar Kühen, deren Milch sie im nahen Dorf verkauften, vom Ertrag konnten sie mehr recht als schlecht leben. Im Jahr 1947 lernte Hugo Obernauer dort seine zukünftige Frau Susann kennen, die wie er aus Deutschland emigriert war und deren Vater vor 1933 als Rechtsanwalt und Notar in Berlin seine Anwaltspraxis hatte. Hugo und Susann heirateten in Argentinien und 1950 wurde ihr Sohn Eduardo geboren, die Tochter Alicia drei Jahre später. Nach dem Tod von Max Obernauer im Jahr 1952 begann Hugo Obernauer Himbeeren zu produzieren. In einem Brief vom 5. April 1981 berichtete er Rita Stetter, geborene Müller, ausführlich selbst über sein Leben in Südamerika:

 „Nun will ich Ihnen ein wenig von hier erzählen, da mir scheint, dass Sie dafür Interesse haben. Argentinien ist ein Land, in dem Spanisch gesprochen wird. Choele Choel in der Provinz Rio Negro liegt genau 1000 km von der Haupt- stadt Buenos Aires entfernt. Mein Gut, auf dem ich wohne, befindet sich auf einer Insel, die von zwei Flussarmen des Rio Negros umgeben ist und 30 km Durchmesser hat. Die Entfernung von meinem Haus bis in das nahegelegene Dorf beträgt lediglich 3 km. Meine Hauptproduktion sind Himbeeren und Walnüsse. Die ersteren verschicke ich an Likör- und Marmeladenfabriken in die Hauptstadt. Außerdem gibt es Kirschen, Aprikosen, Äpfel, Birnen, Pflaumen, Tomaten, Mais, Kartoffeln und ,nicht zu vergessen, ‚Träuble' (Johannisbeeren). Wie Sie sich denken können, wird es mir nie langweilig bei diesem Betrieb. Ob Sie es glauben wollen oder nicht, mache ich trotz meiner 63 Jahre so ziemlich alles alleine, außer den Erntearbeiten. Allerdings muss ich bemerken, dass ich dafür die modernsten Maschinen besitze. Ein von der Regierung groß angelegtes Bewässerungssystem sorgt dafür, dass den Pflanzen nicht die notwendige Feuchtigkeit fehlt. Was mich am meisten mit Stolz erfüllt sind meine zwei Kinder. Mein Sohn Eduard (31), genannt ‚Bubele', ist Chef-Frauenarzt in einem großen Krankenhaus von Buenos Aires und meine Tochter Alicia (28), genannt ‚Liesele', ist Biochemikerin, ebenfalls in der gleichen Stadt.“
 

Sein Bruder Emil Obernauer betrieb in der Nähe eine eigene Landwirtschaft, war ebenfalls verheiratet und hatte selbst Kinder. Als sein ältester Sohn im Alter von 39 Jahren 1987 einem Hirnschlag erlag, traf das den Vater hart, zumal er wie sein Bruder Herzprobleme hatte.

Der Mutter von Hugo und Emil, Cilly Obernauer, geborene Friedberger, war ein langes Leben vergönnt, denn sie erreichte das 89. Lebensjahr und starb im September 1984 in Buenos Aires.

Kontakte nach Laupheim

Bereits mehrfach wurde aus Briefen Hugo Obernauers zitiert, was jetzt aufgeklärt werden soll. Seine ihm lange nicht bekannte Großnichte Audrey Obernauer, die Enkelin von Hermann Obernauer, nahm Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts Kontakt zu ihm auf und vermittelte ihm die Adresse von Rita Müller, die damals Inspektoren-Anwärterin bei der Stadt Laupheim war und Audrey während ihres Besuches im Juli 1978 betreut hatte. Aus dieser Begegnung wuchs eine tiefe Freundschaft, die sozusagen in der Familie weitergegeben wurde. Hugo Obernauer nahm auf postalischem Wege Kontakt mit ihr auf, was Rita Müller, verheiratete Stetter, aus Laupheim herzlich erwiderte. Möglicherweise wuchs damit auch sein Wunsch, die alte Heimat einmal wiederzusehen.

Nach langen Vorbereitungen war es 1984 endlich so weit. Hugo und Susann Obernauer reisten nach Deutschland und kamen dabei extra zur Zeit der Kinder- und Heimatfestes, dessen begeisterter Anhänger er war, nach Laupheim, wo sie herzlich von Alt-Bürgermeister Otmar Schick begrüßt wurden, dem er nach seiner Rückkehr einen Dankesbrief schrieb, der für sich spricht und deshalb auf der nächsten Seite abgedruckt ist. Neben vielen Veranstaltungen des Kinder- und Heimatfestes 1984 suchte er jeden Tag den jüdischen Friedhof von Laupheim auf, wo zahlreiche Vorfahren begraben sind und sein Onkel Hugo Obernauer auf dem von Friedrich Adler gestalteten Kriegerdenkmal vermerkt ist.

Während seines Besuches nahm er an dem von Theo Miller gestalteten Lichtbildervortrag über alte Laupheimer Ansichten teil. Hugo Obernauer drückte dem leidenschaftlichen Sammler alter Fotos seine Visitenkarte in die Hand und meinte, er habe auch noch eine interessante Ansichtskarte für ihn, die mit einem Motiv von der Ulmer Straße aus Argentinien nach Laupheim kam. Aus dieser Begegnung entwickelte sich über eine zwei Jahre währende Korrespondenz von 1984 bis zum Tod Hugo Obernauers 1986 eine wunderbare Freundschaft, über die ein Stoß von Briefen zeugt. Theo Miller stillte den Wissensdurst Hugo Obernauers nach Nachrichten aus Laupheim, beantwortete Fragen, schickte Jahreshefte des Verkehrs- und Verschönerungsvereins und eine Kopie eines alten Olympia- Mannschaftsbildes mit Hugo Obernauer im Aufgebot. Darüber hinaus offenbarte Theo Miller seinem Briefpartner, dass er als junger Mann in der Waffen-SS diente und sein Vater die Haarfabrik Bergmann erwarb. Hugo Obernauer blieb versöhnlich und hatte sich zuvor schon allgemein geäußert: „Im übrigen will ich meinem Grundsatz nicht untreu werden, wenn es sich um die zwölf Jahre der Gewaltherrschaft handelt. Dieser lautet: ,Immer daran denken, nie davon sprechen.' Viel schöner ist an die Zeit zu denken, als wir noch als gleichberechtigte Buben bei Nachbarn unter dem Weihnachtsbaum standen . . .“ Es mag scheinen, als ob er diese Zeit verdrängen wollte, doch für ihn war es scheinbar sein Weg, damit auch weiterleben zu können. Hugo Obenauer plante bereits einen weiteren Laupheimbesuch für das Jahr 1987, doch bereits Anfang 1986 erlitt er einen Herzinfarkt und starb am 10. 7. 1986 in Choele Choel, Argentinien. An seiner statt besuchte seine Sohn Eduardo 1987 Laupheim. Der Einladung der Stadt Laupheim 1988, die den ehemaligen jüdischen Laupheimern galt, folgte Emil mit seiner Frau Magdalena Obernauer. Die Witwe von Hugo Obernauer, Susana, verpachtete zunächst das Landgut in Choele Choel und zog zu den Kindern nach Buenos Aires, wo sie mit 57 Jahren ihre Berufstätigkeit aufnehmen und als „Babysitter“ ihres kleinen zweijährigen Enkelsohnes wirken wollte, in dem sie ein Ebenbild seines Opas Hugo – ganz blond und blauäugig – sah.

Theo Miller denkt an seinen Freund Hugo Obernauer, wann immer er die Postkarte betrachtet.

(Foto: Elisabeth Ligenza Schwäbische Zeitung v. 2. 8. 2005)

 

  

Quellen:

Adreß- und Geschäfts-Handbuch für die Bezirksgemeinden Laupheim. München 1925. Foto - Archiv: Theo Miller, Laupheim.

Foto - Archiv: Günter Raff, Laupheim.

Hecht, Cornelia; Köhlerschmidt, Antje: Die Deportation der Juden aus Laupheim. Laupheim 2004. Hüttenmeister, Nathanja: Der Jüdische Friedhof Laupheim. Laupheim 1998.

Kreisarchiv Biberach F 7613 - 3a. Laupheimer Verkündiger 1923–1925.

Neidlinger, Karl: 100 Jahre Realschule. 1896 - 1996. Laupheim 1996. Schwäbische Zeitung vom 2. 8. 2005.

Staatsarchiv Sigmaringen 65/18 T 4 und T 5. Stadtarchiv Laupheim FL 9811–9899.

Standesamt Laupheim, Familienregisterband V.

Weil Jonas: Verzeichnis von Kriegsteilnehmern der israelitischen Gemeinde Laupheim, Laupheim 1919.

 

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